Ein weisses, fein strukturiertes Zifferblatt, facettierte Zeiger, applizierte Indexe und ein fast komplett poliertes Gehäuse: Diese Merkmale kennt man von eleganten Dresswatches, die zwar gut aussehen, aber kaum mehr können, als die Zeit anzuzeigen. Was passiert, wenn ein Uhrenhersteller diese klassischen Eigenschaften mit funktionalen Merkmalen verbinden und die neue Kreation zudem mit Zusatzfunktionen und einem robusten Äußeren ausstatten möchte? Ist es möglich, eine Uhr zu bauen, die nicht nur das Auge des Kunden anspricht, sondern auch dessen Ansprüchen an einen hohen Grad an Nutzbarkeit im Alltag gerecht wird?
Das ist tatsächlich möglich, aber nur, wenn man alles richtig macht. Und genau das hat Grand Seiko mit seiner Hi-Beat 36000 GMT 44GS 55th Anniversary Limited Edition getan, unserer Testuhr, die im Januar 2022 vorgestellt wurde. Der Name bezieht sich auf die vor 55 Jahren lancierte 44GS, deren formschönes Gehäuse als Vorbild für das Design dieser neuen Grand Seiko dient. Die neue Uhr sieht nicht nur elegant aus, sondern bietet auch einen hohen Alltagsnutzen: So hat der japanische Hersteller neben einer perfekt platzierten Datumsanzeige auch einen 24-Stunden-Zeiger mit entsprechender Skala am Rand des Zifferblatts angebracht Mehr Info.
Die Zusatzfunktion ist so geschickt integriert, dass sie aus diesem Zeitmesser kaum wegzudenken ist – von ihrem Nutzen ganz zu schweigen: Überquert man eine Zeitzonengrenze, zieht man die Krone einfach in die erste Position und dreht sie, um den Hauptstundenzeiger in Ein-Stunden-Schritten vor- oder zurückzutreiben. Um Mitternacht springt das Datum bei Bedarf vor oder zurück, wie man es von einer Reiseuhr erwartet. Der blaue Zeiger bleibt während der gesamten Reise stoisch in seiner ursprünglichen Position, um die Zeit in der Heimatzeitzone anzuzeigen. Wer lieber zu Hause bleibt, wird die Schnellverstellung des Stundenzeigers zu schätzen wissen, die den Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit erleichtert, da das Uhrwerk weiterläuft und so die Richtigkeit der Minute und Sekunde erhalten bleibt.
Doch damit sind die funktionalen Eigenschaften dieser Uhr noch lange nicht erschöpft. Grand Seiko verwendet zudem die hauseigene Leuchtmasse Lumibrite. Diese Leuchtmasse ist tagsüber kaum wahrnehmbar, erhellt nachts jedoch drei der vier Zeiger und alle elf Stundenmarkierungen wirkungsvoll.
Und dann ist da noch die Materialwahl – Titan –, die dieser neuen Grand Seiko einen Vorteil gegenüber reinen Dresswatches verschafft. Gehäuse und Armband bestehen aus diesem robusten, aber leichten Metall, obwohl alle polierten Teile eher wie Edelstahl aussehen. Und dieser Eindruck ist gewollt. Um ihn zu erreichen, hat die Manufaktur eine eigene hochfeste Titanlegierung entwickelt. Die ungewöhnliche Härte der Legierung übertrifft die von herkömmlichem Titan und ermöglicht die Anwendung der für Grand Seiko typischen „Zaratsu“-Politur, die besonders glatte und verzerrungsfreie Reflexionsflächen erzeugt, die so hell glänzen wie Edelstahl.
Titan reduziert zudem das Gewicht erheblich. Schon bevor wir das Armband gekürzt haben, wog unsere Testuhr nur 105 Gramm. Dank dieses geringen Gesamtgewichts liegen sowohl das geschmeidige Gliederarmband als auch das Gehäuse sehr angenehm am Handgelenk. Und das Gehäuse ist keineswegs ultraflach: Es ist 14 mm hoch und weist die typisch komplexe Form einer Grand Seiko auf.
Sowohl die japanische Designtradition im Allgemeinen als auch die Markenphilosophie von Grand Seiko im Besonderen nehmen Elemente der lokalen Kultur und Natur auf und integrieren sie in das Design neuer Produkte. Einige Zifferblätter japanischer Uhren erinnern an die Farben von Ahornblättern im Herbst, die Textur von Birkenrinde, die Körnung von Schnee oder die Spuren im Kies von Zen-Gärten. Darüber hinaus erinnern einige der Uhrwerkbrücken von Grand Seiko an die Konturen des berühmten Fuji oder des Iwate. Das Ziel ist nie eine realistische Darstellung, sondern immer subtile Eindrücke.
Das Zifferblatt des neuen Modells, das wir getestet haben, erinnert an traditionelle japanische Schiebetüren, die mit Papier bedeckt sind, das einfallendes Licht streut und seine Härte mildert. Die leichte, luftige, papierartige Struktur des Zifferblatts kann von einem aufmerksamen Beobachter erkannt werden, der sich dem Zifferblatt der Uhr nähert. Aber aus der Entfernung oder aus größerer Entfernung betrachtet, erscheint das Zifferblatt weiß und glatt. Dies entspricht der japanischen Tradition von Subtilität und Understatement, drückt aber zugleich dezenten Luxus aus, denn die besondere Oberfläche des Zifferblatts ist nur aus der Nähe sichtbar.
Apropos Luxus: Diese Uhr kostet 8.500 Dollar und gehört damit nicht zu den Modellen, die man spontan kauft. Für diesen Preis ist die bereits erwähnte harmonische Kombination aus elegantem Design und vielseitiger Funktionalität erhältlich. Doch damit nicht genug. Dreht man die Uhr um, offenbart sich ein Manufakturwerk mit zahlreichen technischen Vorteilen. Der hocheffiziente, bidirektional wirkende Magic Lever Doppelklinkenaufzug nutzt die kinetische Energie des Rotors, um das getestete Grand Seiko Kaliber 9S86 55 Stunden lang am Laufen zu halten. Über diesen Zeitraum hinweg garantiert der Hersteller eine präzise Gangmessung mit einer Ganggenauigkeit zwischen -3 und +5 Sekunden pro Tag. Zur Ganggenauigkeit trägt unter anderem bei, dass die Unruh mit rasanten 36.000 statt der üblichen 28.800 Halbschwingungen pro Stunde schwingt. Das bedeutet, dass der Sekundenzeiger pro Sekunde 10 statt 8 Schritte vorrückt. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet eine höhere Unruhfrequenz im Allgemeinen eine höhere Wahrscheinlichkeit für Präzision, da die Abweichungen in einem engeren Bereich des Optimums liegen.
Auf einer elektronischen Zeitwaage, einer Witschi Chronoscope X1, maß unsere Testuhr einen täglichen Verlust von 2,3 Sekunden und blieb damit innerhalb der von Grand Seiko angegebenen Grenzen. Während eines mehrwöchigen Tragetests pendelte sie sich mit einem täglichen Verlust von 3 Sekunden an der unteren Grenze des zulässigen Bereichs ein. Ein Verlust statt eines Gewinns ist im Allgemeinen nicht gern gesehen, kann aber toleriert werden, wenn er so gering ist wie hier, zumal sich die Werte in den sechs Positionen in einem engen Bereich von nur 4 Sekunden konzentrieren.
Grand Seiko fertigt nicht nur gängige Komponenten wie Brücken und Platinen im eigenen Haus, sondern fertigt auch kritische Teile wie Antriebsfedern und sogar Unruhspiralen, für die die Manufaktur eigene Hochleistungslegierungen entwickelt hat. Individuelle Lösungen finden sich jedoch nicht nur in den Tiefen des Uhrwerks, sie sind an der Oberfläche sichtbar. Beim Blick durch die transparente Saphirglasscheibe auf der Rückseite unserer Testuhr entdeckten wir keinen gewöhnlichen, halbrunden, stahlfarbenen Rotor, sondern ein kreisrundes, skelettiertes Bauteil mit einer goldfarbenen, unregelmäßig strukturierten Oberfläche und einer integrierten Scheibe mit einer Gravur des Grand Seiko-Löwen.
Um dem Rotor eine ungewöhnliche Farbe und Struktur zu verleihen, setzt die Manufaktur auf die hauseigene Elektrolyse. Dabei bildet sich auf der Oberfläche des Titanrotors eine Oxidschicht. Diese Beschichtung erhält bei exakt passender Dicke den gewünschten Goldton. Manche fragen sich vielleicht, wie ein kreisrunder Rotor genügend Trägheit erzeugen kann, indem er auf die natürlichen Bewegungen des Handgelenks des Trägers reagiert. Ganz einfach: Drei Nieten verbinden den Rotor mit einem bogenförmigen Gewicht, das um die Hälfte des Rotors verläuft und nur bei genauem Hinsehen zu erkennen ist.
Wer eine umfassende Beschreibung der Grand Seiko Hi-Beat 36000 GMT 44GS 55th Anniversary Limited Edition möchte, muss die Liste der Eigenschaften erweitern. Sie ist nicht nur elegant und funktional, sondern bietet auch eine Vielzahl individueller Lösungen, die vom speziellen papierähnlichen Erscheinungsbild des Zifferblatts über das Gehäuse und Armband aus der markeneigenen Titanlegierung bis hin zur schnell schwingenden Unruh mit hauseigenen Komponenten reichen. Leider können nur 1.200 Käufer weltweit die vielseitige SBGJ255 an ihrem Handgelenk genießen – ein direkter Nachfahre der 44GS von 1967, die den Grand Seiko-Stil ein für alle Mal etablierte.